A Backpackers Day




 

6:30
Der Wecker klingelt. Aufstehen. Vom Trekking noch nicht trockene Sachen einpacken. José kommt zum Zimmer gelaufen und klingt hecktisch. Ich habe mich inzwischen an die bolivianische Gewohnheit zur Unpuenktlichkeit gewoehnt und deshalb den Morgen etwas verbummelt. Natuerlich ist das heute extrem bloedsinnig faellt mir auf, als ich den zappligen Kerl sehe. Der Minibus nach La Paz faehrt natuerlich puentlich um Sieben. Hektisch packe ich fertig, suche den Nachportier zum Bezahlen, der natuerich das Wechselgeld erst aus dem Buero holen muss, und renne auf die Plaza vor dem Haus. José ist verschwunden und es dauert zwei Minuten, bis ich das zweite Busunternehmen auf der anderen Seite der Plaza realisiere. "Auf der Seite fahren sie erst um acht" klaert mich José auf und fuehrt mich um die Plaza. Meine Unmenge Gepaeck wird auch dem Dach verstaut und nachdem sich das VW-Bus grosse Gefaehrt mit ca. 12 weiteren zahlenden Gaesten aufgefuellt hat setzt es sich auch prompt in Bewegung. José war so nett Plaetze fuer die Frontsitzbank zu kaufen. Die hinteren Sitzreihen sind fuer ueblicherweise max. 1,65m grossen Campesinos, wie man die meist in kleinstbaeuerlich lebenden Nachfahren der Aymara- und Inkanachfahren hier nennt (bloss nicht Indios...), ausgelegt.

10:15
Ankunft in La Paz. Die Minibusse fahren alle als ob sie vor dem Tod persoenlich fluechten wuerden, wie immer halt. Wie immer ist der Fahrer von dem Gefaehrt in dem ich sitzte der schlimmste von allen. Witzigerweise beschwert sich der groesste aller Drecksaufahrer und Pilot meines schneeweisen "I love my Toyota" Gruppenbefoerderungsfahrzeuges am laufenden Band dann noch staendig ueber seine Kollegen. Alles Deppen, nur er nicht. Dann ploetzlich erfaehrt ihm das groesstmoeglich vorstellbare Unheil fuer einen Angehoerigen der befoerdernden Zunft in Bolivien: Nach wie immer ausdauernden Gebrauch verfaellt das wichtigste aller Autoteile zunaechst in ein unstoppbares Dauerhupen um sich wenig spaeter in die andauernde Stille der ewigen Jagdgruende der Signalhoerner zu verabschieden. Kastration sozusagen.

10:30
Wir sind eigentlich mit Elena an der Strassenecke, also der definierte Platz irgendwo in einem Stadtteil von La Paz an der die Minibusse aus Sorata anhalten, verabredet. Sie ist nicht da. José telefoniert. Sie ist in der City. O.k. dann nehmen wir ein Taxi und treffen uns an der Plaza San Franzisko. Kostet 1,00 EUR fuer zehn Minuten Fahrt.

10:40
Wir treffen Elenena auf der Plaza um ihr in ein nahegelegenes Geschaeftshaus zu folgen und erledigen dort die Abrechnung. Ich hole noch kurz Bargeld aus einem Automaten an der Calle Sagarnaga, da ich nicht genuend bei mir habe. Meine Unmengen Gepaeck, also Ausruestung fuer fuenf Wochen Rucksackreisen inkl. Vollausstattung fuers Trekking und technisches Bergsteigen schleppe ich zwei Strassen weiter den Berg hinhauf in ein Hostal, welches ich mir am morgen auf der Herfahrt im Reisefuehrer ausgesucht habe. Ja, sie haben ein Zimmer frei, aber Check in time waere erst ab 13:00. Ja, ich kann mein Gepaeck dalassen und spaeter wiederkommen.

11:00
Ich schleppe die technische Bergsteigausruestung weiter eine Strasse die steile Sagarnaga hoch. Christians Laden ist proppevoll als ich bei seiner Sekretaerin die guten alten Platikstiefel, die Steigeisen, die Eisgeraete, die Eisschrauben, den Firnanker und was man am Berg noch so alles braucht zurueck gebe. Beim bezahlen wechsle ich noch ein paar kurze Worte mit dem anderweitig beschaeftigten Christian bevor ich den Laden verlasse.

12:00
Nach einem langen Vormittag ohne Fruehstueck treibt mich der Hunger in die naechst beste Tourifressfalle. 100% Natural schimpft sich der auf Gringo-Beduerfnisse zugeschnittene Laden. Entsprechend finden sich in dem auf natuerliche Zutaten und vollwertige Kueche machenden Restaurant ausschlieslich westliche Touristen, irgendwie vornehmlich auf dem ich leb ja so gesund Trip befindliche US-amerikanische Huehner. Der frisch gepresste O-Saft ist koestlich und mein Steacksandwich wird mit einer bunten Pallette Plastikflaeschen vom Grossproduzenten serviert. Sehr natuerlich dieses Allerweltsketchup, -mayonese und Salsa Pikante. Als ich bezahle kann ich mir die Anmerkung, sie sollten den Laden doch besser in 95% Natural umtaufen allerdings doch verkneifen.

13:30
Einchecken im Hotel. Die Huette kostet stolze 20 EUR pro Nacht. Ein Vermoegen. Dafuer gibt es ein Bett, das nicht durchhaengt und eine Dusche aus der beliebig lang grosse Mengen warmes Wasser kommt und bei der sich die Temperatur anstaendig regulieren laesst. Die aber Kroenung bildet der an die Wand gedueblte Kabel-TV Fernseher aus dem in 117 Kanaelen Schrott diversester Geschmacksrichtung, zur Haelfte in Englisch mit spanischen Untertiteln, riselt. Ach so, dann gibt es noch zwei kostenlos benutzbare Computer mit schnellem Internetzugang (auf einen davon hacke ich gerade ein) und ein nettes Fruehstuecksbueffet.

14:00
Bewaffnet mit einem Faltstadtplan irre ich durch die Gassen von La Paz und suche die Entsprechungen von zwei Kugelschreiberkringeln die mir Christian in die Karte gemalt hat. Die Argenturen finde ich nicht und strebe dafuer das IGM an. Leider hat Kompass seine Verlagsaktivitaeten noch nicht auf den suedamerikanischen Kontinent ausgedehnt (der deutsche Alpenverein ist da fortschrittlicher, wenn auch nicht flaechendeckend..) und fuer Karten von gewissen Landstrichen bedarf es einer Konsultation des Geographischen Militaerinstitutes (Instituto Geograpchico Militar). Fuer manche Gegenden gibt es auch gar keine Karten. Meine kurze Freude nach Vorfinden einer geoeffneten Buerotuer wird sogleich durch Desillosion ersetzt. Es waere heute niemand mehr da der Karten verkauft. Mir ist heute nach Abendteuer und ich folge dem Uniformierten der anbietet mich von der Innenstadtfiliale ins Hauptquartier nach Miraflores zu bringen. Er muesse eh dahin und da gaebe es die Karte.

14:15
Ich befinde mich neben meinen frisch gewonnen, Camouflage Style gekleideten, Freund in einem Minibus um einmal die Stadt zu durchqueren. Wird schon passen, rede ich mir einmal mehr ein nach dem ich wieder nur 14% von dem verstanden hab, was er zu mir sagt. In Deutschland gaebe es bestimmt viele Leute die umgekehrt viel mehr dafuer bezahlen wuerden, denke ich mir als eine Geschaeftsfrau auf dem Buergersteig neben der Ampel den Schuhputzjungen fuer das Putzen ihrer kniehohen high heel Lederstiefel bezahlt.

15:00
Nachdem mich mein Freund an unzaehligen, mit Schnellfeuergewaehren bewaffneten, Militaerpolizisten durch die Ausweiskontrolle, in das Hochsichheitsmilitaergelande und schlieslich in das Buero des IGM gefuehrt hat, stehe ich ploetzlich alleine da. Was ich denn will, ich solle doch Platz nehmen. Aufforderungen des Beamten der sich hinter seinem Monitor versteckt, mit unendlich langen Pausen dazwischen. Er ist der Maechtige in der Behoerde und ich stoere ihn bei seiner immens wichtigen Arbeit. Ganz klar. Ich fuehl mich auch schon ganz klein. Das Buero koennte man ohne Umdekoration fuer einen Film zur Zeit des zweiten Weltkrieges benutzen. Lediglich zwei Laptops und einen ebenfalls verloren erscheinenden Drucker muesste man aus den Raumen entfernen. Schliesich erhebt sich der arme gestoerte stillschweigend um nach zwei Minuten wieder in den Raum zurueckzukommen. No es possible, disculpa. Super! Gibts halt keine Karte von der Quimsa Cruz, macht ja nix. Der Puls meines Kriegsdienstverweigererherzens geht nochmals etwas hoeher als ich alleine durch die bewaffneten ueber das Gelaende nach draussen irre. I survived freue ich mich als ich auf dem Buergersteig der vierspurigen Strasse betrete und mich der Laerm und Gestank der Grossstadt wieder hat.

15:30
Auf der Suche nach einer Bergfotoausstellung lasse ich mich mit einem Taxi zur Plaza Eduardo Dingsda fahren. Mein Stolz den Ausstellungsort sofort gefunden zu haben zerschellt sofort an der Auskunft der Rezeptionistin: leider schon vorbei. Welch Pleitetag, der Frust muss mit Kuchen kompensiert werden, den ich in der Kuchenstube zu mir nehme. Ein Bilderbuch-Oma-Kaffee mit Kuchenvitrine, Eckbaenken und Kitschbildern. Halt nicht in Rothenburg ob der Tauber sondern irgendwo in Suedamerika. Also hier in La Paz, um genauer zu sein. Genauso gemuetlich geht es hier zu. Lediglich der Obdachlose, der hereinmarschiert und sich an einen Tisch setzt, durchbricht fuer kurze Zeit das romantische Bild. Ein Polizist folgt ihm auf dem Fuss um dem Fehler sofort zu korrigiergen. Zoegerlich und nicht ohne eine Hand voll Zucker aus dem Streuer zu erhaschen folgt der stille Stoerenfried den hoeflichen und unmissverstaendlichen gestischen Aufforderungen des Uniformierten. Mir gefaellt dieser Stadtteil, denke ich mir als ich den letzten bissen Tiramsukuchen mit der heissen Schokolade herunterspuele.

16:30
Plaza-TV ist eines meiner Lieblingsbeschaeftigungen. Ich sitze auf der Parkbank und beobachte die Leute. Die Frauen tragen die Hosen hier aber sehr eng im Schritt, denke ich als Musiker mir einen Flyer fuer ein Konzert am Abend in die Hand druecken.

20:30
Frisch geduscht und ausgeruht gibt es eine gebackene Forelle mit Kartoffeln in einem sehr schoenen Cafe an der Plaza Edorado Dingsda. Dazu einen guten Tropfen bolivianischen Wein. Welch Genuss nach der Bergsteigerei der letzten Wochen. Jeweils einen Euro hatte die Taxifahrt zum Hostal in der City und dann wieder heraus gekostet. Hier ist es angenehm. Es ist wohl die europaeischte Ecke von La Paz. Es ist ein bischen wie zu Hause, nicht so wie in den eher oft schaebigen einheimischen Lokalen oder den extra auf Gringo-Lationo-Geschmack gestylten Tourifallen.

21:30
Im Cafe Chocolate Caliente spielt die Band vom Park unplugged Musik, die sich zwischen westlichen Rock und Latino Folk bewegt. Das weckt die Lebensgeister und saugt sich in mir auf wie Schweizer Schokolade. Viele nette junge Leute im Cafe, Studenten wie es scheint. Ich plaudere noch eine Weile mit der Band und ein paar Locals bevor es mich wieder auf die Strasse zieht.

23:50
Die Abenteuerlust von heute Mittag hat sich noch nicht gelegt. Schon deutlich muede vom langen Tag und ein paar Cervecas treibt es mich in die Strassen um die Plaza. Ich halte an einem Laden, der nach einheimschen-Disko aussieht. Drei Euro Eintritt, Fuenzig Leute seien drin. So die Auskunft der Tuersteher. Ein DJ spielt Kumbia aus der Konserve und tatsaechlich etwa soviele Einheimsiche sitzten an kleinen Tischen auf zwei Ebenen um die Tanzflaeche. Als einzger Gringo falle ich deutlich auf. Fuers Tanzen ist es noch zu frueh, so verharre ich bei gutem Biernachschub an der Bar. Die Gaeste werden mehr und betrunkener. Schliesslich eroeffent ein auffaelliges Paerchen die Tanzflaeche. Er sieht aus als waere er Evo Morales dicker kleiner Bruder und sie ist durch ihr ueppig ausgefuelltes pinkes Kleid und der damit verbundenen Anmut einer Miss Piggy kaum weniger auffaelliger. Allerdings legen sie auf der Tanzflaeche eine Leidenschaft und einen Ausdruck an den Tag, den 98% aller deutschen selbst auch mittels jahrelanger Tanzkursen nie erreichen koennten. Ja, so ist das, Gott gab uns deutschen die Jammerlappigkeit und den Stammtisch, den Latinos hingegen feuriges Temperament und den Ausdruck. Die Tanzflaeche fuellt sich allmaelich. Erst aber als der DJ von einer 10 -koepfigen sauguten Livecompo abgeloest wird, kommt richtig Stimmung auf und auch ich gebe dem Zucken meiner Beine nach. Waehrend mein Hirn noch eifrig damit beschaeftigt ist die Salsa Schritte vom Kurs von damals aus dem Archiv zu fischen und in die Beine zu koordinieren umgibt mich eine Gruppe huebscher, offensichtlich ausgiebig feiernder, Latinomaedels. Kaum drei Blicke und zwei Laecheln ausgetauscht befindet sich die zweithuebscheste von ihnen in meinen offensichtlich ebenfalls abenteuerlustigen Armen um mit mir zu Tanzen. Derart angefeuert zaubert mein Hirn alle jemals gelernten Salsa und Kuschelmerenge Schritte hervor und sowohl ich als auch Claudia sind davon so angetan, dass wir so Stunden auf der Tanzflaeche verbringen. Koerbchen, Sidesteps, Drehungen, sowohl das Maedchen als auch das Tanzen fuehlt sich zu gut an als vor dem fruehen Morgen damit aufzuhoeren...

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