Hilfe – Einbrecher!
Während einer Rucksackreise, das ist ja eigentlich das schöne daran, erlebt man regelmäßig Höhen und Tiefen. Ein endloser Ritt durch das vergleichsweise öde Nordperu hat ein Ende gefunden und in der Hochgebirgsstadt Huaraz lebe ich wieder auf. Endlich bin ich wieder wo angekommen, endlich möchte ich wieder wo bleiben. Hier! Endlose Berglandschaften stiften Unruhe und treiben zum Entdecken an, während andererseits mein Hostal ein Basecamp mit Wohlfühlcharakter ist. Carlos, der Besitzer, ist ein nie versiegender Brunnen voll von Gastfreundschaft und Heiterkeit. Seine geringen Englischkenntnisse kompensiert er mühelos mit seiner endlosen, warmen und echten Freundlichkeit, so dass man einfach nicht umher kommt, den Kerl gern zu haben. Es ist egal, dass er sich nur unbeholfen ausdrücken kann - man versteht sich trotzdem. Nachts ist es kalt hier in den Bergen, die Zimmer haben keine Heizung und so treffen sich die Gäste abends vor dem Kaminofen im Gemeinschaftszimmer. Einsamkeit bedarf hier des Vorsatzes. Ich mag es so schön unkompliziert und einfach mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Gute Unterhaltungen ergeben sich von alleine und gemeinsame Unternehmungen werden geplant. Mal kann man jemanden überreden, einen Ausflug zu den Aguas Calientes, den heißen Quellen, zu machen und mal wird man überredet, in die Salsatheka mitzukommen.
Am Vortag wiederum war es ein frisch angekommenes englisches Pärchen, das mich überredete: „Come, join us! Tommorrow we wanna go ice climbing and it's gonna be cheaper the more we are.“ Zu der Zeit hatte ich mit solchen extremen sportlichen Aktivitäten noch nichts am Hut, doch die Engländer waren hartnäckiger als meine Trägheit und Scheue: „Fine, you can count me in!“ war nach einigen Überredungsversuchen dann doch meine Antwort. Schließlich ist das ja eines der spannenden Dinge am Reisen: die Ungewissheit, nicht genau zu kennen, auf was man sich da eigentlich einlässt. Als Budget Traveller teile ich mir ein Zimmer, im Moment eben genau mit den zwei unbedarften und frisch aus Lima eingetroffenen Untertanen der Queen. Wir gehen noch kurz zum Abendessen aus, um uns dann früh ins Bett zu legen. Der Wecker ist auf fünf gestellt, schließlich ist das Eiskletten mit einer mehrstündigen Anreise und einer Sight-Seeing-Tour verbunden.
Gerade erst habe ich den zur Vorbereitung so notwendigen Schlaf gefunden, als ein Knall mit nachfolgenden Klirren den dunklen Raum durchzieht. Sofort sind alle hellwach. Das wenige Licht der Nacht lässt erkennen, dass die Scheibe der Glastür zur Terrasse eingeworfen wurde. Unverzüglich kommen mir einige der unzähligen aufgeschnappten Horrorgeschichten über Kriminalität in Südamerika in den Sinn. In meiner Wahrnehmung existieren sie bisher nur als Märchengeschichten, doch werden wir jetzt tatsächlich mitten in der Nacht heimtückisch überfallen? Keiner traut sich das Licht anzumachen, es passiert nichts mehr. Mit weit aufgerissenen Augen und Ohren scannen wir die Nacht ab: Nichts! Einfach Nichts! Das Hostal liegt mitten in der Stadt und der Hinterhof, zu dem die Terrasse mündet, ist mit Mauern abgeschirmt. Mit einer gehörigen Portion Furcht in den Knochen überkommt mich dann endlich genügend Überwindung, die Ungewissheit der Situation zu beseitigen. Mit der angeschalteten Stirnlampe leuchte ich den Raum ab: Hier drin ist Niemand, die Scheibe ist eingeworfen, Glassplitter und ein Stück Betonplatte liegen am Boden, die Zimmergenossen von der Insel schauen unsicher. „We're fine“ erwidert es auf mein „Are you o.k.?“. Eigentlich bin ich gar nicht so der Held, aber hilft ja alles nichts. Ich stehe auf und gehe vorsichtig nach draußen um den Übeltäter zu suchen. Aber auch im Hinterhof ist niemand zu sehen. Was zur Hölle ist denn das? Auch meine Raumpartner streifen umher, können aber ebenfalls nichts auffälliges finden. Wir schlagen gehörig Krach, nichts rührt sich. Was nun?
Schließlich sehe ich mir die Terrassentür und deren Einbausituation genauer an. Mir wird schnell klar, dass wir unser nächtliches Abenteuer schlichtweg peruanischer Schlamperei am Bau zu verdanken haben. Der Balkon über unserem Zimmer ist von unten verputzt, wobei der Stuckateur recht schlampig gearbeitet haben muss. Jedenfalls hatte sich ein Stück Putz gelöst, war aber mit der Seite zum Haus hin am längsten hängen geblieben und hatte so beim Fallen seitlichen Schwung für den Eintritt in unsere Glastür aufgenommen. Genau jener Fladen Putz liegt nun bei uns neben den Glassplittern im Zimmer.
Wir haben es also doch, mit einem für südamerikanische Verhältnisse, kleinen Abenteuer zu tun. Kurz räumen wir zusammen und beseitigen die gröbsten Splitter, um uns darauf hin wieder in die Betten zu verkriechen. Schließlich ist ja morgen Eisklettern gebucht. Als der Wecker um fünf klingelt stehe ich wohl erholt auf. Zwei paar übernächtigte Augen entgegneten mir ein „We have not slept a single minute, you have to go yourselves. Sorry!“. Witzig, so kommt es schließlich, dass zwei andere überredete Hostalbewohner und ich dann ohne das englische Pärchen den Ausflug unternehmen. Der Trip bringt uns zu gigantischen Kakteen und einen unfassbar großen Gletscher, an dessen Front wir dann den halben Tag rumpickeln. Auf die obligatorische Frage nach der Rückkehr, wie es denn gewesen sei, versuchen wir mit einem „Oh, not too bad.“ unsere Freude über den tollen Ausflug nicht ganz maßstabsgerecht wiederzugeben. Die armen Engländer haben ganz schön was verpasst, wir wollen sie aber nicht zu sehr daran leiden lassen.