Piz Palü, 3900m, Skihochtour


Ort: Bernina, Schweiz
Zeit: 21.05.-23.05.2009
Aktivität: Skibesteigung Piz Palü (Ostgipfel)
Dabei: Jürgen, Paul, Peter
Inside: Bericht & Bildergallerie 


Von Peters Sehnsucht nach dem Heidiland und der seiner Skier nach Schnee.

Es ist drei Uhr nachmittags und ich liege im Lager der Diavolezza. Die Donuts brüllen mir Punkrock ins Ohr und meine Seele badet in einer ganzen Wanne voll Glück. Heimlich, still und leise. Dabei wollte ich heute morgen den ganzen Bettel noch hinschmeißen. Ich hätte mich so gern gedrückt.

Schon am Vorabend und auch beim frühmorgendlichen Frühstück um 4:15 Uhr haben mir Zweifel an meinen vermeintlich unzureichenden Abfahrtsfähigkeiten zugesetzt. Skihochtouren sind relativ neu für mich, dies soll die bisher anspruchsvollste werden. Hoch geht’s immer, runter ist halt öfters mal scheiße. Entsprechend unentspannt gehe ich morgens los. Die Tour beginnt mit einer Abfahrt. Der Schnee ist weich, es war viel zu warm heut nacht. Ein wilder Ritt durch einen Lawinenkegel auf den letzten 50 Abfahrtsmetern zum Auffellplatz schneidet sich eine weitere Scheibe von meinem bescheidenen Restego ab. Ab hier ist Gletscher, aber hier kann ich noch umdrehen, die anderen ziehen lassen, versaue ihnen nicht die Tour. Mit einem Blick auf die Uhr, wir haben bis hier schon viel zu lange gebraucht, meint einer der Teilnehmer: „Vielleicht sollten wir gleich umdrehen“. Er sagt es mehr im Spaß als im Ernst. Der Feigling in mir nützt die Gelegenheit, gewinnt Oberhand und ergänzt die Steilvorlage prompt mit einem: „Das überlege ich mir gerade ernsthaft“, mehr im Ernst als im Spaß. Der Teilnehmer mit der weitesten Anreise sagt gar nichts. Er kann mehr davon abgewinnen uns vor seinem geistigen Auge mit der Lawinenschaufel zu verprügeln. Der vierte im Bunde entspannt schließlich die Angelegenheit durch ein: „Mensch Reiner, auf, bisher sind wir immer wieder runter gekommen“. Mensch, recht hat er. Auch die beiden anderen Teilnehmer machen keine Anstalten mein Abbruchvorhaben ernsthaft zu unterstützen. Das allein reicht schon, den bis dahin verschwundenen Helden in mir aufzupeppln. Keine Ahnung wo der Depp die ganze Zeit schon wieder war. Er meldet jedenfalls sich mit einem „also, gehen wir“ zu Wort. Ich denke mir noch, wenn der Arsch sich schon so lange verdrückt, könnte er bei seinem auftauchen wenigstens etwas souveräner wirken, doch dann gehen wir auch schon los.

Auch wenn ich erst in den letzten Jahren vom Wandern zum Bergsteigen gewechselt bin, so beherrsche ich die Psychotricks inzwischen ganz gut. Ich schicke den Feigling in mir mit seinen Komplexen in die geistige Verdammnis und überlasse das Feld in meinem Kopf dem Helden und seinem Gehabe von hübschen Mädels und den letzten erfolgreichen Bergtouren. In der realen Welt ist Peter so nett die Führung zu übernehmen, ein Tempo anzuschlagen bei dem alle mitkommen und wir tatsächlich eine Aussicht auf Gipfelerfolg haben. Nebenbei überlege ich mir, warum ich eigentlich hier bin. Da ist Peter, der unbedingt mal wieder in den Heidiland Rasthof wollte. Diesmal hat er gar kein altes Voucherli in der Tasche. Ich muss also die Theorie mit dem geizigen Schwaben über Bord werfen. Er findet es einfach tatsächlich so toll. Ja und da sind seine Skier. Durch die Verletzung ihres Herrchens bedingt waren sie dermaßen auf Entzug, dass sie beim ersten Anfellen ganz schön zitterten. Um da Ende Mai noch Abhilfe zu schaffen und beide Interessen unter einen Hut zu bringen blieb nix anderes übrig, als irgdeneinen Muggel zu wählen, dessen Fuß sich schon über 2000m befindet und in der Schweiz liegt. Also ist das gar nicht so unlogisch mit dem Bernina, denke ich mir. Der Held in mir findet es auch völlig logisch, dass ich dann in der Geschichte mitspiele. Hä?

Tatsächlich ist der Aufstieg nicht so dramatisch. Erst mal langer flacher Gletscher, alles o.k.. Zwischendurch steilt es doch mal auf. „Das werde ich dann zu Fuß runter gehen“, denke ich laut. Etwa auf halber Strecke melden sich die üblichen Druckstellen meiner Füße nach heftigen Auseinandersetzungen mit den Skistiefeln bei der körpereigenen Beschwerdestelle. Ein Antrag auf sofortige Arbeitseinstellung und Entspannungsbad wird vorgetragen. Wie üblich wird das vom Amt erst mal ignoriert um dann nach erneuter Beschwerde den Antrag mit Verweis auf unzureichende Begründung zurückzuweisen. Es geht hier schließlich um was Großes. Der Gletscher steilt ein zweites mal auf. Der Schnee ist sehr hart und wir bringen nun unsere Harscheisen zum Einsatz. Wir liegen jetzt gut in der Zeit und gehen in etwa das Tempo der Gruppen um uns rum.

Bei uns allen geht der Atem reichlich schwerer, als wir auf der Ostschulter bei 3720m die Skier gegen die Steigeisen tauschen. Vom Skidepot geht es dann über eine Firnflanke und einen Verbindungsgrat zum Ostgipfel. Der Firn lässt sich angenehm gehen, ich konzentriere mich auf dem Weg um nicht doch irgendwann bei den schwindelerregenden Tiefblicken vor Erfurcht zu erstarren. Das Wetter hat schon den ganzen Tag keinen sehr beständigen Eindruck gemacht, doch es scheint zu halten. Allerdings bläst hier oben ein heftiger Wind. Mit seiner Hilfe betreiben kleine Eiskörnchen ein kostenloses Gesichtspeeling. Die Böen nehmen in Heftigkeit zu, als wir den Ostgipfel erreichen. Mega, super. Wir schauen uns den Verbindungsgrat zum Hauptgipfel an und beschließen aufgrund des dermaßen heftigen Windes den für heute auszulassen. Das Ding ist so schmal, dass man sich ernsthaft sorgen machen muss, runtergepustet zu werden.  Nach einer kurzen Bildersession drehen wir um. Der Rückweg zum Skidepot macht noch einmal richtig Spass, zu Fuß mit Steigeisen gehen ist mein Ding.

Während einer kurzen Pause bauen wir wieder auf Skibetrieb um. Es steigt wieder eine leichte Nervosität in mir auf. Doch bei den ersten Schwüngen Abfahrt kehrt Beruhigung zurück. Die Verhältnisse sind gut und ich habe sogar einigermaßen Abfahrtsspaß. Sogar die steileren Stellen komme ich einigermaßen gut runter. Mit fortgeschrittener Abfahrt wird leider der Schnee immer schwerer. Die Schwünge kosten mehr Kraft und wir sinken zum Teil bis zu 20 Zentimeter in sulzigen Schnee. Während einer kurzen Pause über dem Steilstück äußere ich meinen Willen, die Skier abzuschnallen. Man rät mir davon ab und ich fahre dann halt auch noch da runter, was soll’s. Der Rest der Abfahrt ist unspektakulär, der Spaß hält sich aber auf Grund des tiefen Schnees in Grenzen. Leider ist es jahreszeitlich für die Abfahrt über den Morteratsch Gletscher schon zu spät. Das wäre mit eklig weiten Tragepassagen verbunden. Somit müssen wir für den Gegenanstieg auf die Diavolezza nochmals auffellen. Der Aufstieg in der sengenden Sonne bei weichem Schnee raubt uns die letzten Kräfte. Auch der Wind lässt nicht nach, einmal stösst mich eine Böe sogar einfach um. Doch schließlich schaffen wir auch das. Ziemlich kaputt gibt es zur Feier des Tages im Restaurant der Diavolezza im Angesicht des Piz Palü noch ein Stück Kuchen und ein Bier. Nach einer kurzen Dusche lege ich mich ins Lager um bei Musik aus dem MP3 Player und Tagträumen von der heutigen Besteigung und der morgigen Einkehr im Heidilandrasthof zu entspannen.


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Unterkunft: Berghaus Diavolezza