Dhaulagiri Circuit - Teil 2 - 10

Dhaulagiri Circuit - Teil 2

Tag 10 Trekking vom Italian Base Camp zum Japanes Base Camp // Mi. 26.10.2011
Starthöhe: 3650m | Aufstieg: 850m | Abstieg: 180m | höchster Punkt: 4180m | Camping: 4180m

 

Mein Ego ist bei Erbsengröße angekommen. Ähnlich muss sich wohl ein Eichhörnchen nach überqueren einer vierspurigen Straße fühlen. Nicht, dass das Risiko wirklich groß ist, nein, es geht einfach um die erdrückende Ausgeliefertheit gegenüber etwas so unglaublich Übermächtigem. Es ist auch kein eigenes Unvermögen, nur Ohnmacht, nur Ameisenhaftigkeit. Mein Leben geht einen schnellen Takt, ich mag das so. Wenig Zeit zu grübeln - machen, erleben und genießen. Selten stellt sich Essentielles in Frage. Heute Nacht ist das anders. Warum habe ich nur so wenig wichtige Ziele im Leben und warum verfolge ich sie mit so wenig Nachdruck? Warum lasse ich mich so treiben und warum bin ich so unfokussiert? Viele Fragen, wenige Antworten – nur einmal mehr der Vorsatz das zu ändern: Weniger zu tun und das dafür ordentlich, mehr Energie in die Pflege meiner Freundschaften zu stecken, mehr dafür zu arbeiten, dass Leute eine faire Chance auf der Welt bekommen, egal in welchem Ort sie geboren werden. Die Milchstraße wacht über uns, klar und nah wie man sie zu Hause nie sieht. Ein scharfer, kalter Wind weht um das Zelt. Eine unruhige Nacht steht mir bevor.

Der Tag im Italian Base Camp hatte schon schlecht begonnen. Matthias klagte über wenig Schlaf – die Erbsen des Vorabends hatten ihn geplagt. Mit den Erbsen hatte ich keine Probleme, allerdings dafür mit dem nächtlichen Sturm. Ein erster Blick aus dem Zelt offenbarte eine Änderung des Drehbuches. Die Karten sind neu gemischt - Neuschnee liegt überall und eine der Schlüsseletappen der Tour hatte eine  Zusatzschwierigkeit bekommen.

Vordergründig war beim Frühstück alles wie immer: freundlich, lustig und locker. Unterschwellig war eine gewisse Nervosität nicht zu leugnen. Wenig später brachen wir auf. Die Gedenktafeln am Bergsteigerfriedhof mahnen zur Vorsicht am Berg, doch noch war der Weg harmlos. Eine halbe Stunde über dem Italian Base Camp bildete sich eine Schlange. Das harmlose Gehgelände führte nun abrupt einen hundert Meter hohen Moränenhang hinunter. Normalerweise wäre das auch kein Problem, doch bei den aktuellen Verhältnissen machte die Vereisung und der Schnee das ganze zur Rutschpartie. Einmal Fahrt aufgenommen käme man erst zig Meter tiefer zum halten.

Die Nervosität der Mannschaften unterwegs wurde durch die Kunde der Verweigerung mehrerer Träger  nochmals gesteigert. Die Kollegen werden tageweise entlohnt und ein Teil des Summit Club Teams beschloss wohl, dass Lohn und Risiko nicht zusammen passten. In zügigem Tempo versuchten wir entsprechend den mächtigen Gletscher unterhalb der Südwestwand des Dhaulagiri zu überqueren. Spindrift, harmlos und dennoch beeindruckend, stob aus den mächtigen Rinnensystemen zu uns herunter. Wenn man sich mächtigen Schnee- und Eismassen unter unseren Füßen bewusst machte, so hätte man sich die sie ernährenden Schneelawinen aus der Wand über uns nicht vorstellen wollen.

Der Gegenaufstieg auf der gegenüberliegenden Seitenmoräne bot Gelegenheit zum durchschnaufen. Nicht weil er so flach war, nein, weil keine objektive Gefahren drohten. Die Entspannungsphase war kurz, bald ging das Gelände in eine Schlucht über. Unfassbar hoch sind dort die Wände um einen herum, immer wieder war in einiger Entfernung einiges Poltern zu hören. Kein Ort zum Verweilen.

Schließlich entspannte sich die objektive Gefährdung um uns herum wieder. Die Schlucht weitete sich, der Weg ging auf den Gletscher über. Hier unten ist dieser vergleichsweise wegbar, Krusten meterhohes Geröll überziehen das Gletschereis und ein passabler Trekkingpfad findet sich obenauf. Wenig überhalb des Lagers einer großen Gruppe schlugen wir das unsere auf. Es war erst kurz nach Mittag, dennoch aber genug für heute.

Wir ruhten im Zelt aus um für eine kurzes Dal Bat einmal noch ins Küchenzelt umzuziehen. Eine sehr ehrliche Mahlzeit um einen sehr ehrlichen Trekkingtag abzuschließen.