Ancohuma wär a Traum - Gipfeltag

Ancohuma wär a Traum

Gipfeltag und Abstieg:

Mein Langschläfergemüt freut sich, als ich nach einem kurzen Wecken um zwei Uhr nachts wieder in den Schlafsack krieche. Das ist allerdings das einzige an mir, das sich freut. Der Rest von mir ist aufgewühlt und mit Wehmut ausgefüllt. José ist war ans Zelt gekommen und hatte mich zu der vereinbarten Zeit geweckt. Ich hatte tief geschlafen, so tief, dass ich den nächtlichen Schneefall nicht mitbekommen habe und jetzt von der schlechten Nachricht überrascht werde. Der ganze Berg ist mit mindestens 15 cm weißer Pracht überzogen und der Nachschub von oben ist noch nicht abgerissen. José sagt mir, mit einem sehr ernsten Ausdruck im Gesicht, dass er empfehlen würde nicht zu gehen. Wie immer überlässt er die finale Entscheidung aber mir. Instinktiv stimme ich sofort mit ihm überein, will aber so schnell nicht aufgeben und gehe die Argumente nochmals rational durch: Die Tour wird viel schwerer, wir müssen alles Spuren. Der immer noch fallende Schnee ist schwer und nass, spätestens nach einer Stunde würde er uns komplett durchweichen. Die Orientierung ist bei der geringen Sicht schwer. Nochmals deutlicher sprechen die Argumente bzgl. der Sicherheit. Die Spaltensturzgefahr hat sich aufgrund des Spalten verdeckenden und nicht tragenden Neuschnees um ein vielfaches erhöht. Hinzu kommt die Gefahr von Lawinen und nicht zuletzt verwandelt der Schnee das Geröll-Gelände außerhalb des Gletschers in Stolperfallen für jeden einzelnen Tritt. José erzählt mir später, dass dieses große, lose Geröll die häufigste Unfallursache am Ancohuma ist. Mit Schnee überzogen ist das Zeug wirklich der beschissenste Untergrund für menschliche Fortbewegung.

Da mich die Grübelei also auch zu keinem anderen Ergebnis bringt, sage ich José er kann wieder Schlafen gehen. Die wichtigste Fähigkeit eines Bergsteigers ist wohl immer noch seine eigene Grenzen zu erkennen. Meine liegt für heute hier im Hochlager und nicht erst oben auf dem 6427m hohen Ancohuma Gipfel. Ich versuche noch etwas zu schlafen, habe mir für vier Uhr nochmals den Wecker gestellt um erneut den Schnee vom Zelt zu schütteln. Liegt zuviel von dem Zeugs kommt irgendwann keine Luft mehr durch die Zeltmembran. Um sechs schaue ich erneut aus dem Zelt. José hatte vorgeschlagen zu dieser Zeit evtl. zu einem Alternativgipfel aufzubrechen. Das Wetter sieht aber noch nicht viel besser aus, José ist auch nirgends zu sehen und ich bin zu niedergeschlagen um wirkliche Motivation aufzubringen, lege mich also wieder hin.


Um sieben haben dann alle ausgeschlafen, wir räumen die Schlafsachen im Pfadfinderzelt zusammen und frühstücken Rührei. Der Himmel ist immer noch Wolkenverhangen und gelegentlich rieselt immer noch der weiße Scheiß vom Himmel. Nicht, dass ich Schnee eigentlich nicht mag, er kommt nur zur falschen Zeit. Am späten Vormittag klart es dann auf und die Sonne kommt durch. Zusammen mit José breche ich auf um noch bis zum Mittag auf dem Gletscher oberhalb des Hochlagers rumzuturnen. Das Vorankommen fällt schwer und bestätigt unsere nächtliche Entscheidung. Das eingeschneite Geröll ist ein Alptraum. Um zwölf kehren wir zum Lager zurück um abzubauen. Warten hätte nur wenig Sinn, da es wahrscheinlich einige Tage dauern würde, um die Lage substanziell zu verbessern. Außerdem sind wir nicht darauf vorbereitet, Essen würde irgendwann knapp und die Träger sind schlecht ausgerüstet, frieren hier ob nachts ziemlich. Pünktlich zum packen schneit es nochmals, so dass die gesamte Ausrüstung unweigerlich nass wird.

Als wir fertig sind erschreckt mich einer der Träger. Er kommt mir so vertraut vor. Naja, vielleicht liegt’s einfach daran, dass er meine Socken an den Füßen trägt, darüber meine Trekkingschuhe. Weiters trägt er meine Reservesonnenbrille auf der Nase und hat sich eine meiner Schmerztabletten eingeworfen. Die Ausrüstung habe ich ihm überlassen, weil er mit Halbschuhen ohne Socken und ohne Sonnenbrille auf den Berg gekommen war. Nachts hatte ich ihnen noch meinen Biwacksack gegeben. Über den Blankeisgletscher geht es wieder hinunter in Richtung Laguna Glacial. Das Spiel „Finde deinen Weg aus dem Gletscherlabyrinth“ steht heute auf Level 4, eingestellte Parameter: (a) der Berg ist scheiß hoch (b) der Gletscher ist scheiß groß (c) drecks Neuschnee (d) ein bisschen ordentliches Whiteout dazu. Zwei Stundern lang durchqueren wir Becken und übersteigen wir Rippen. Plötzlich stehen wir am Rande zum Geröll. José ist mein Held. Dadurch, dass die Steine alle nass sind, wird netterweise der Abstieg nicht nochmals angenehmer. Ich lerne also, dass sich schlechte Wegqualität wohl also immer noch einmal steigern lässt.

Wir kämpfen uns bis zur Laguna Glagial herunter und ich bin aufs erste erleichtert. Nach einer Inspektion des Lagerplatzes schlägt José vor weiter abzusteigen. Hier ist alles Nass und es hat jede Menge Pfützen. Hier zu  Zelten verspricht nasse Kälte und jede Menge Sauerei. Ich stimme José zu weiter zu gehen, vordere allerdings vom Träger meine Trekkingstiefel zurück. Die Koflach-Plastik-Schale mag zwar auf dem Geltscher toll sein, auf normalen Weggelände bringen mich die Dinger aber um. Er ist erst nicht sehr begeistert, willigt aber ein und zieht schließlich meine Plastik Stiefel seinen Halbschuhen vor. Normalerweise wären ja seine Halbschuhe o.k., aber bei dem seltenen Sauwetter sind alle Alternativen recht und billig. Wir steigen noch eine Weile ab, um schließlich eine Stunde vor der Lahuna Chilata auf einem akzeptablen Lagerplatz die Zelte aufzuschlagen. Das Abendessen schlage ich heute aus, verziehe mich und widme mich statt dessen einer satten Portion Linkin Park aus dem MP3 Player in meinem Zelt.



Am nächsten Tag steigen wir noch gemütlich zum Camparmento de Oro herunter. José verabschiedet sich mit den Trägern, er wird später mit den Mulis zurück kommen. Den sonnigen Nachmittag nütze ich, um Seele und Körper von den Strapazen erholen zu lassen. Das fällt nicht sonderlich schwer bei einem Sonnenbad hier in dieser endlosen Traumlandschaft. Dazu gibt es Dicovery Channel in live: Ein Kondor zieht seine Kreise am Himmel, ein Fuchs streicht über die Felder. Bolivianisch pünktlich, also mit zwei Stunden Verspätung gegenüber der Ankündigung, ist José um sechs Uhr abends wieder da. Ein letztes mal bekocht er mich. Frische, selbst angebaute Sorata Kartoffeln gibt es. Lecker. Das einfache ist oft das beste. Am letzen Tag steigen wir dann wieder über die Dörfer, zusammen mit den Mulis, nach Sorata ab. Das Abenteuer hat ein Ende und die zivilisierte Welt uns wieder.



 


 

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