Ancohuma wär a Traum - Zustieg

Ancohuma wär a Traum

Zustieg:

Es ist 11:00 und zwei Pausetage nach dem Trekking als mich José in meinem Hostal is Sorata abholt. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch gar nichts von Josés Berühmtheit, erst später finde ich heraus, dass er in Roberts Buch Timewalk erwähnt und abgebildet ist. Wir haben im Vorfeld besprochen, den Berg langsam angehen zu lassen und kurze Etappen zu machen. Auf der Trekkingtour hatte ich zum Schluss auf einem Pass immer noch ziemlich Kopfweh und will bezüglich der Akklimatisierung auf der sicheren Seite sein. José hat auch nichts dagegen, eher im Gegenteil. Er wird pro Tag bezahlt und der Tourismus in Bolivien ist im Moment stark rückläufig. Es sind die schlechtesten Zeiten seit Jahren. Die zwei Wochen Arbeit für mich sind also ein Segen für José. Dieses Geld muss er dann schon nicht mehr durch schlecht bezahlte Knochenarbeit in einer primitiven bolivianischen Mine verdienen um seine Familie durchzubringen.


Wir lesen noch Ausrüstung von einem Depot in der Stadt auf bevor wir mit dem Taxi an der Stadtgrenze anhalten. Hier hat José seine Mulis geparkt, sie sind nicht innenstadtkonform. Diesmal sind es drei. Chico Mula und Seniora Mula haben zusätzliche Gesellschaft bekommen um die technische Bergausrüstung zu tragen. Mit den bepackten vierbeinigen Helfern geht es durch enge und steile Fußwege der Vororte von Sorata hinaus. Marco, Josés 10 jähriger Sohn, stößt zu uns und hilft die Mulis zu führen. Ich versuche das Tempo der Locals zu halten und komme ins Schwitzen, dabei merke ich aber, dass meine Leistungsfähigkeit gegenüber den ersten Trekkingtagen deutlich besser geworden ist. Als außerhalb der Dörfer die Äcker in weite Weideflächen übergehen, schlagen wir in einem Becken unser Lager auf.

Es ist noch früh am Mittag und ich erkunde die Gegend. Mir fällt auf, dass nicht nur José sondern auch die einheimischen Hirten alle ein Transistorradio bei sich haben. Es muss sich hier um einen Flecken mit der wahrscheinlich höchsten Transistorradiodichte weltweit handeln. Ich überlege kurz ob es nicht energetisch sinnvoller wäre alle 500m einen Lautsprechermasten aufzustellen. Für mich klingt die kreolische Musik die aus den Sony Volksempfängern strudelt eh alle gleich. Es scheint nur fünf Grundrhythmen zu geben und die größtmöglich feststellbaren Unterschiede bestehen in der Art und Lautstärke der Zwischenrufe. Des weiteren fällt mir auf, dass auf einer flachen Ebene fast alles umgegraben ist. Einheimische graben hier nach Gold, erklärt mir später José auf Nachfrage. Von daher nennen wir unseren Lagerplatz künftig Camparmento de oro.


José hat diesmal sein kleines 1 Mann Zelt zu Hause gelassen und dafür ein rundes Pfadfinderzelt mit ca. 3 Metern Durchmesser mitgenommen. Jurtenfeeling kommt also auf als wir im großen Zelt kochen und essen. Warm und gemütlich, es ist eine Wohltat da das Wetter am Nachmittag schlechter geworden ist. Es wäre ein bisschen wie bei den Nomaden Asiens, sage ich zu José. Erst nach weiteren Erklärungen will er mir glauben, dass es Menschen gibt die ihr Leben ausschließlich im Zelt verbringen. Außerdem gibt es diesmal noch eine Pfanne. José brät frisches Hühnchen, welch Festessen zum Auftakt. Da Wochenende und somit keine Schule ist begleitet uns Marco noch zwei Tage. Vater und Sohn reden untereinander Aymara von dem ich kein Wort verstehe.



Tag 2:

An unserem zweiten Tag haben wir immer noch keine Hektik. Wir frühstücken gemütlich, José hat Rührei gemacht. Wie immer gibt es reichlich. Ich biete Marco mehr von dem Rührei an. José ist gerade zufällig draußen. Marco blickt verstohlen aus dem Zelt. Ob sein Vater ja nichts sieht, dann erst stimmt er zu. Ein ungewöhnliches Szenario für uns Reiche. Bolivien ist ein Land in dem viele täglich hungrig vom Abendessen aufstehen. Das ist mir fremd. Nachdem die Mulis bepackt sind überlegen es sich die Sturköpfe auf den ersten Wegmetern anders, geben ihrem Heimweh nach und wechseln eigeninitiativ die Wegrichtung. Doch schon nach 15 Minuten sind sie wieder eingefangen und auf dem richtigen Weg. Nach weiteren drei Stunden schon sind wir am Ziel für heute, dem wunderschönen Bergsee Laguna Chilata.

Eine Horde Touristen mit Kindern, Tagesausflügler, begrüßen uns am See. Es ist reichlich Zeit, ich spaziere um den See und hample etwas an den Felsen herum um Bewegung zu haben. Ein Kondor dreht ein paar Runden über uns um schließlich schwerelos davon zu segeln.In der Luft so unglaublich elegant, am Boden aber so hässlich. Das Wetter ist durchwachsen und ich verkrieche mich zu den Jungs in der Jurte. Ich photographiere etwas herum, Marco ist sehr begeistert von meiner Digitalkamera, auf der man die Bilder gleich betrachten kann. Das ist hier immer noch kaum verbreitet unter den Einheimischen. Breites Grinsen überzieht sein Gesicht als er selber erste Bilder mit einer Digitalkamera macht und diese gleich ansehen kann.



Tag 3:

Den dritten Tag beginnen wir mit einer Pfannkuchenparty. Für mich als bekennenden Wellnessbergsteiger ein richtiger Traum. Damit begrüßen wir die drei Portatores, Träger, welche die Mulis ablösen. Irgendwie fühle ich mich aber auch ein kleinwenig schlecht, weil ich fünf Leute beschäftigen muss um auf diesen Berg zu kommen. Na ja, andererseits ist ja Bolivien ein Land mit hoher Arbeitslosigkeit und selten lässt sich Egoismus und gute Tat so einfach unter einen Hut bringen. Die Träger lachen viel und haben durchaus auch ihren Spaß, manchmal werde ich mir sogar vorkommen, als wäre ich völlige Nebensache. Es ist 10:00 Uhr als wir gepackt haben und Marco, der zehnjährige Bub, die drei Mulis alleine nach Hause treibt.

Der Weg in Richtung Heimat ist zwar immer einfacher, das haben wir ja schon mehrfach gelernt, trotzdem habe ich Respekt für seinen souveränen Umgang mit den dickschädeligen Viechern. Kurz oberhalb der Laguna treffen wir auf einen Pulk Rückkehrer. Es sind zwei Skibergsteiger die müde mit ausdruckslosen Gesichtern hinabsteigen, begleitet von Führern und Trägern. Eigentlich eine gute Gelegenheit sich nach dem Bedingungen am Berg zu erkundigen, sie kommen vom Ancohuma zurück. Ihre Zurückhaltung lässt nichts Gutes ahnen und ich gehe sehr gerne unvoreingenommen an den Berg. Deshalb grüße ich sie nur kurz mit einem Hola und lasse sie passieren. José kommentiert das Unternehmen mit einem verständnislosen Kopfschütteln. Skifahren kann man nämlich auf dem Berg kaum, wenn es dafür überhaupt geeignete Bedingungen gibt dann nur für die letzten ca. 800 hm, wenn man also den Zustieg mit einbezieht liegt der mögliche Skianteil der Tour bei ca. 10 Prozent. Dafür muss man die Dinger aber weit durch die Berge tragen.


Schnell wird klar, warum die Mulis hier nicht behilflich sein können. Den ganzen Tag laufen wir über Moränen, Geröll- und Blockfelshalden und schräg liegende Platten. Ein richtiges Scheißgelände. Dazu kommt schlechtes Wetter, erst Nebel der bis auf 15m zumacht und dann Niederschlag, hier oben in Form von Regen und dann styroporkugelartigem Schneefall. Die glatten Felsplatten und Blockfelsen verwandeln sich in gefährliche Rutschbahnen. Erstmals überlege ich mir ernsthaft, was ich hier überhaupt tue. Unten in Sorata gäbe es Bier, Pizza und Chicas - und was mache ich? Quäle mich unter scheiß Bedingungen so einen blöden Berg hoch. Als es etwas aufmacht können wir über die Täler von oben auf den Titicacasee schauen. Welch erhabener Anblick auf den in 3800m Höhe liegenden blauen Riesentümpel, immerhin 15 mal so groß wie der Bodensee.

Schon geht es wieder etwas besser. Unser Ziel ist für heute die wunderschöne Laguna Glacial. So sagt man jedenfalls. Ich nehme nur einen in einer Nebelsuppe liegenden Teich, den Sauwind und den kalten Niederschlag wahr, als José sagt wir wären da. Das Wetter ist wieder schlechter geworden und ich baue schnell mein Zelt auf um mich darin zu verkrümeln. Ich döse schon eine Weile in meinem Daunenparadies vor mich hin als es draußen ruft: "sacar fotos". Aha, das Wetter scheint freundlicher geworden zu sein und ich ziehe mir meine Klamotten über.

Tatsächlich hat es aufgerissen und es der Platz zeigt seine volle Schönheit. Vor uns liegt ein milchfarbiger Bergsee, Gletscher aus verschiedenen Richtungen münden direkt in diesen hinein. Der hintere Teil des Sees wird durch haushohe Gletscherabbrüche begrenzt. Immer wieder rumpelt es laut. Die Gletscher kalben Eis- und Geröllbrocken in Autogröße direkt in den See. Wenn man die Augen nach oben richtet, dann wird einem fast schwindlig von den fantastischen Ausblicken auf die Fels- und Gletscherflanken des Pico Schulze, des Illampu und des Ancohuma Massivs. Wird sind zwar schon auf 5000 Metern, stehen aber gefühlt immer noch am ganz am Fuße dieser Bergriesen. Dreht man sich um 180 Grad so kann man das weite San Christobal Tal überblicken, in dem Sorata liegt. Zur linken schneidet es sich zunächst sanft in die Hochebene des Altiplanos ein um dann immer weiter und tiefer zu werden, schließlich dann zur rechten am Horizont in die Yungas überzugehen. Von da setzt es sich ins Amazonasbecken fort um nach mehreren tausend Kilometern dann irgendwann in den Atlantik zu fließen. Ein wahrhaft traumhafter Ort.



Tag 4:

Noch einen weiteren Tag verbringen wir mit unserem gemütlichen Zustieg. Nun ja, genau genommen ist der überhaupt nicht mehr so gemütlich. Habe ich mich gestern schon über das etwas schwierige Gelände geärgert so ist heute der Spaß entgültig vorbei. Wir haben den ganzen Tag wegloses Gelände vor uns, nur ab und zu Trittspuren und Steinmandel. Moränen und Geröllhalden sind das Terrain des Tages, selten hat das Gestein sandgroße Körnung, meist bewegt es sich zwischen Fußball- und Fernsehergröße, ab und zu erreichen die Blöcke auch Dimensionen von kleinen Lastwagen. Die Festigkeit des Weguntergrundes teilt sich dabei in grob drei Kategorien: sehr häufig "scheiße, das hält ja gar nix", oft auch "ah, wackelt zwar, ist aber belastbar" und eher selten "boah, das ist ja richtig fest". Entsprechende Vorsicht ist beim Gehen geboten, entsprechend anstrengend ist der Aufstieg.

Das wechselhafte Wetter sorgt dann mit Schneefalleinlagen für zusätzliche Würze. Als wir nach einer Biegung zum ersten mal den Ancuhuma-Gletscher vor uns sehen stockt mir der Atem. So ein verrückter Riesengletscher, vorne erst eine Riesenwand zum Fels hin, dann ewig weite unglaublich zerklüftete Blankeisabschnitte und irgendwo weit hinten die mit Firn glatt angefüllten Gletscherhänge des eigentlichen Gipfelabschnittes. Woah, schon allein für diesen Blick hat es sich gelohnt hierher aufzusteigen und Mann, fühl ich mich klein.

Wir folgen eine Weile noch dem Geröll in einem schmalen Abschnitt zwischen Gletscher und einer Felswand. Dann rüsten wir für den Gletscher auf. Ein Stück des Blankeisgletschers muss überquert werden um einen eisfreien Felsbereich für das Hochlager zu erreichen. „Letztes Jahr sah das alles noch ganz anders aus“, erinnert sich José. Irgendwie findet er aber doch einen Weg durch das endlos scheinende Spaltenlabyrinth. Einmal schlagen wir Stufen in eine knapp zwei Meter hohe und 70 Grad steile Eisflanke um sie mit den Trägern überwinden zu können. Schließlich erreichen wir auf ca. 5500m die Felsfläche für das Hochlager. Wir schlagen die Zelte auf, sortieren das Material für den morgigen Tag, essen zu Abend und legen uns hin. Ich fühle mich gut, habe keine Höhenbeschwerden und kann sogar einigermaßen Schlafen.



 

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